Es ist selten genug, dass sich Kritiker und Musikliebhaber einig sind, doch dieses 1960 erschienene Album wird auch heute noch einstimmig als «Perle des West Coast Jazz» erwähnt.
Im Frühjahr 1959 hatte Marty Paich seine Arrangements aufnahmebereit erstellt. Zusammen mit Contemporary Records gelang es ihm, all seine Wunschmusiker im Studio zu vereinen und Art Pepper als den Hauptsolisten zu engagieren. Dieser war eben nach einer zweijährigen Haftstrafe wegen Drogenkonsums aus dem Gefängnis entlassen worden.
So kamen im März und im Mai 1959 zwölf der damals gefragtesten West Coast Musiker zusammen und spielten in kürzester Zeit – vier Stücke pro Session – die zwölf komplexen, begeisternden Arrangements bekannter Kompositionen ein.
Dass dieses Album zur West Coast Jazz Ikone wurde, ist zum grossen Teil das Verdienst von Marty Paich, der zwar keinen einzigen Ton dazu beiträgt, doch die atemberaubenden und auch für Musiker dieses Kalibers enorm anspruchsvollen Arrangements schrieb.
Marty Paich wuchs in Oakland (CA) auf, lernte früh Akkordeon und Klavier spielen. Als Zehnjähriger leitete er Schulorchester und spielte an Hochzeiten. Mit 16 schrieb er die ersten Arrangements zusammen mit dem zehn Jahre älteren Pete Rugolo.
Nach dem Krieg und zurück im Privatleben studierte er Musik an der USC und am LA Conservatory und erhielt einen Masters-Abschluss in Komposition.
Zwischen 1950 und 1960 leitete er als Pianist die Begleitbands u.a. von Peggy Lee und später von Mel Tormé und schrieb daneben Arrangements für Chet Baker, Ray Brown, Stan Kenton, Shelly Manne, Dave Pell, Buddy Rich, Shorty Rogers und viele andere, eben auch für dieses Album, das er Art Pepper widmen wollte.
In den 60er-Jahren wurde er zum «Hofarrangeur» diverser berühmter Sängerinnen und Sänger, wie Sammy Davis Jr., Dean Martin, Barbra Streisand, Andy Williams oder Dinah Shore. Auch schrieb er die Musik zu erfolgreichen Filmen (z.B. «The Fugitive», «Pretty Woman», «Prince of Tides») und gewann einen Emmy für die Musik zu TV-Serie «Ironside» (in unseren Breitengraden bekannt als «Der Chef»).
Art Pepper live.
Über Art Pepper und sein bewegtes Leben schrieb ich bereits in Oldies but Goodies #39. Hier sei nur zusätzlich erwähnt, dass dieses Album nach seiner ersten Haftzeit, die von 1957 bis 1959 dauerte, aufgezeichnet wurde. Es unterstreicht, dass die Gefängnisaufenthalte Art Peppers Kreativität und Spielfreude keinen Abbruch taten.
Auch ist es eines der wenigen Alben, auf denen Art Pepper zusätzlich als Tenorsaxofonist und Klarinettist zu hören ist.
Marty Paich hat sich für dieses Album zwölf Klassiker unter den (damals) moderneren Jazz Kompositionen ausgesucht:
«Move» von Schlagzeuger und Komponist Denzil Best, das vor allem durch die Interpretation des Red Norvo Trio (mit Tal Farlow und Charles Mingus) Berühmtheit erlangte.
Überraschend für mich ist der beinahe unbemerkte Übergang von Eb-dur auf Ab-Dur im Altsax Solo.
Bemerkenswert die kurze Soloeinlage von Jack Sheldon, der übrigens für alle Trompetensoli auf diesem Album verantwortlich ist.
In Dizzy Gillespies «Groovin’ High», einer weiteren Uptempo-Nummer, kommt nach dem Hauptthema ein weiteres be-bopiges Sax-Kollektiv zum Einsatz. Einfach hervorragend, diese lässige Exaktheit.
Im ähnlichen Tempo folgt «Opus De Funk» von Horace Silver, harmonisch ein Blues und bereits hier in einer völlig anderen Version besprochen.
Eher protzig wirkt das Arrangement der Ballade «ʼRound Midnight» von Thelonious Monk, wäre da nicht das aufschreiende Altsax von Art Pepper.
«Four Brothers» von Jimmy Giuffre wurde vor allem in der Version des Woody Herman Herd weltberühmt. Diese Version stiehlt dem Original meiner Meinung nach die Show.
In einem für Dizzy Gillespie Kompositionen typischen Affenzahn überrascht uns «Shaw ʼNuff», bei der neben den hinreissenden Soli von Sheldon und Pepper auch Gillespie typische Schmunzeleffekte nicht fehlen.
«Bernie’s Tune», komponiert von Bernie Miller, jedoch oft Gerry Mulligan zugeschrieben, dessen Quartett das Stück bekannt machte, lässt in der ersten Hälfte Art Pepper viel Improvisationsraum, um dann in ein spannendes Kollektiv zu münden.
Um Gerry Mulligan nun doch noch die Ehre zu erweisen, folgt dessen Komposition «Walkin’ Shoes», entspannt, swingend, dynamisch.
In «Antropology», einer weiteren berühmten Parker/Gillespie Komposition, ist Art Pepper zum ersten mal auf diesem Album als dynamischer Klarinettist zu hören.
«Airegin» von Sonny Rollins spricht mich trotz des brillanten Arrangements und hervorragenden Soli von Pepper und Sheldon am wenigsten an.
«Walkinʼ» ist eine der Kompositionen, die diverse Musiker, u.a. Jimmy Mundi, Gene Ammons und Miles Davis, für sich beanspruchen, deren Copyright jedoch auf einen Musikmanager namens Richard Carpenter lautet. Ein entspannter Mid-tempo-Blues, auf dem Art Pepper sein Tenorsax aktivierte.
Zum Schluss wird es nochmals quirlig: «Donna Lee» von Charlie Parker (Miles Davis beanspruchte dieses Komposition ebenfalls als die seine) ist auf der Hamoniefolge von «Home back again in Indiana» aufgebaut.
Art Pepper, Jack Sheldon und Marty Paich.
Vor allem den jüngeren LeserInnen sei ins Gedächtnis gerufen, dass 1959, als diese Aufnahme auf ein Tonband aufgezeichnet wurde, Stereo-Recording noch in den Kinderschuhen steckte, und Mehrkanal-Aufnahmen oder digitale «Korrekturen» noch undenkbar waren. Man nahm verschiedene Versionen der Stücke von A bis Z auf und wählte zum Schluss die beste für das Album.
Im Dezember 1988 erschien eine CD-Version mit zwei Alternate Takes von «Walking» und einem von «Donna Lee». Die wurden in den neueren (remastered by Bernie Grundman) und digitalisierten Versionen wieder fallen gelassen.
Auch ohne die technischen Einschränkungen von damals zu berücksichtigen, darf die Klangqualität dieses Albums als hervorragend, trocken und ausgewogen bezeichnet werden.
«Modern Jazz Classics» von Art Pepper + eleven ist eine absolute Perle, wesentlich mehr ist als nur ein Zeitdokument. Die superben, West-Coast-Jazz-typischen Arrangements von Marty Paich werden von einer erlesen Truppe erstklassiger Musiker perfekt umgesetzt, alle Soli überzeugen durch Leichtigkeit und Qualität. Zudem sei der Rhythmusgruppe und vor allem dem subtil Akzente setzenden Schlagzeuger Mel Lewis ein zusätzliches Kränzchen gewunden.
Absolut empfehlenswert!
Interpret:
Besetzung:
Albumtitel:
Herkunft
Label:
Erscheinungsdatum:
Spieldauer:
Tonformat:
Musikwertung:
Klangwertung:
Rezensionsdatum:
Art Pepper + eleven
Art Pepper — alto saxophone, tenor saxophone, clarinet (all tracks)
Jack Sheldon — trumpet (all tracks)
Pete Candoli — trumpet (#3, 4, 8, 10)
Al Porcino — trumpet (#1, 2, 5, 6, 7, 9, 11–15)
Dick Nash — trombone (all tracks)
Bob Enevoldsen — valve trombone, tenor saxophone (all tracks)
Vincent DeRosa — French horn (all tracks)
Herb Geller — alto saxophone (#3, 4, 8, 10)
Bud Shank — alto saxophone (#2, 6, 9, 14, 15)
Charlie Kennedy — alto saxophone (#1, 5, 7, 11–13)
Bill Perkins — tenor saxophone (#2–4, 6, 8–10, 14–15)
Richie Kamuca — tenor saxophone (#1, 5, 7, 11–13)
Med Flory — baritone saxophone (all tracks)
Russ Freeman — piano (all tracks)
Joe Mondragon — bass (all tracks)
Mel Lewis — drums (all tracks)
«Modern Jazz Classics»
USA
Contemporary Records/Craft Recordings
11. Januar 1960
40:55
FLAC 24-Bit/192 kHz Stereo
10
9
17. März 2025